Sonntag, 22. September 2024, 20 Uhr · Kölner Philharmonie · Kölner Chorkonzerte
In Terra Pax
Friedenskonzert mit Werken von Frank Martin, Riho Esko Maimets und Felix Mendelssohn Bartholdy
Ein Statement für den Frieden
Chöre aus Deutschland und Estland musizieren gemeinsam Frank Martins bewegendes Oratorium »In Terra Pax«. Das Werk des Schweizer Komponisten, uraufgeführt am Ende des Zweiten Weltkriegs, ist heute so aktuell wie lange nicht.
Der Europäische Kammerchor, die Kölner Kurrende, der Estonian Mixed Youth Choir und Mitglieder des Netzwerks Kölner Chöre bringen gemeinsam eines der zentralen und eindringlichsten Werke Martins zur Aufführung, dessen 50. Todestag wir in diesem Jahr begehen. Dazu erklingen Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und, als Uraufführung, von dem jungen estnischen Komponisten Riho Esko Maimets. Ein internationales Friedenskonzert in kriegerischen Zeiten.
Sonntag, 22. September 2024, 20 Uhr
Kölner Philharmonie
Kölner Chorkonzerte
»In Terra Pax«
Friedenskonzert mit Werken von
Frank Martin, Riho Esko Maimets und Felix Mendelssohn Bartholdy
Ein Konzert des Europäischen Kammerchors in Kooperation mit der Kölner Kurrende, dem Netzwerk Kölner Chöre, KölnMusik, der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem Arbeitskreis Musik in der Jugend (AMJ)
Frank Martin (1890–1974): »In Terra Pax« (1944–1945)
Oratorio breve für Soli, zwei gemischte Chöre und Orchester
Riho Esko Maimets (*1988): »Da Pacem« (2024, Uraufführung)
für gemischten Chor und Streicher
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): »Verleih uns Frieden« (1831)
Choralkantate für gemischten Chor und Orchester
Dorothea Brandt, Sopran
Bettina Schaeffer, Alt
Johannes Mayer, Tenor
Thomas Laske, Bariton
Lucas Singer, Bass
Estonian Mixed Youth Choir (Silja Uhs, Einstudierung)
Jugendkantorei St. Marien Osnabrück (Majka Wiechelt, Einstudierung)
Europäischer Kammerchor
Kölner Kurrende
Mitglieder aus Chören des Netzwerks Kölner Chöre
Osnabrücker Symphonieorchester
Michael Reif, Dirigent
Karten
Karten zu € 52,– / 46,– / 39,– / 31,– / 23,– / 15,– inkl. aller Verkaufsgebühren über koelner-philharmonie.de oder KölnTicket und alle angeschlossenen Vorverkaufsstellen
Frank Martin über »In Terra Pax«
»Ich glaube nicht, dass ich mir bei der Komposition des Oratoriums jemals Illusionen über die Art des Friedens gemacht habe, der auf das Ende des Krieges folgen würde; aber diese Illusionslosigkeit konnte mich nicht davon abhalten, den Übergang von der tiefsten Verzweiflung zur Hoffnung auf eine strahlende Zukunft auszudrücken. Und das bedeutete, dass ich mit den Worten Christi das absolute Erfordernis der Vergebung bezeugte, ohne die wahrer Frieden nicht denkbar ist. Aber dieses Erfordernis ist so groß, dass seine universelle Anerkennung auf der Erde ohne das Wunder der vollständigen Umwandlung des menschlichen Denkens und Fühlens unvorstellbar ist. Deshalb kann der wahre Friede für uns nur eine Hoffnung, eine Entschlossenheit, ein Glaube, eine Brücke in eine ungewisse Zukunft sein – aber eine Zukunft, die wir uns vorstellen müssen, auch wenn wir nicht an ihre materielle und irdische Verwirklichung glauben können. (…) Das Stück ist sozusagen ein Werk für einen bestimmten Anlass, aber ich selbst habe es nie so gesehen. Die Komplexität von Krieg und Frieden ist ewig; militärische Kriege sind nicht die einzigen – und ist Frieden nicht eine ständige Sehnsucht unserer Seele?«
2024 ist Frank-Martin-Jahr: Im November begehen wir seinen 50. Todestag. Sein »Oratorio breve« »In Terra Pax« war ein Auftragswerk und sollte live im Radio unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs uraufgeführt werden. Tatsächlich wurde die Aufführung am 7. Mai 1945 live von Genf aus übertragen.
Im vergangenen Jahr entstand die Idee, gemeinsam und mit internationaler Beteiligung in Köln ein Friedenskonzert zu veranstalten. Schnell wurde die Idee konkret, unter Beteiligung vieler: Im Boot sind neben dem Europäischen Kammerchor und der Kölner Kurrende das Netzwerk Kölner Chöre, die Kölner Philharmonie, der Arbeitskreis Musik in der Jugend AMJ, die Hochschule für Musik und Tanz HfMT Köln und der Estonian Mixed Youth Choir.
Michael Reif über »In Terra Pax«: »Die Hoffnung der Menschen wird zur lebendigen, hörbaren Realität«
Michael, wie kam es zu der Idee für ein Friedenskonzert?
Michael Reif: Nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine hatte ich den Wunsch, einen Ost-West-Austausch mit Chören zu starten und das verbindende Band zu stärken. Mit großartiger Unterstützung des Arbeitskreises Musik in der Jugend AMJ gelang es, einen Austausch zwischen dem Estonian Mixed Youth Choir und dem Europäischen Kammerchor in Gang zu bringen und für 2024 zu planen. Die Idee hat in Köln an vielen Stellen Begeisterung ausgelöst, und man sicherte mir Unterstützung zu. Meine beiden Chöre haben zu den vielen Vorbereitungen und Planungen »Ja« gesagt, Verantwortung übernommen und das riesige Vorhaben ins Laufen gebracht. Die Hochschule für Musik und Tanz — und hier ganz besonders der Rektor, Prof. Tilmann Claus — stieg sofort in eine Zusammenarbeit ein und stellte uns kostenfrei Räume für Proben und Workshops zur Verfügung.
Den größten Schub aber gab es, als das Netzwerk Kölner Chöre und persönlich dessen Vorsitzender Martin Füg ihre Unterstützung zusagten. Schnell war die Idee entwickelt, dass alle Sängerinnen und Sänger der Kölner Konzertchöre die Initiative ergreifen und sich gemeinsam in einem Konzert für den Frieden positionieren sollten. Das Netzwerk formulierte den Wunsch, ein Sonderkonzert zu veranstalten, das den Friedensappell deutlich und für alle vernehmbar formuliert. Auch die Kölner Philharmonie hieß die Projektidee willkommen, und so waren die Voraussetzungen für das Kölner Friedenskonzert am 22. September 2024 geschaffen.
Frank Martin schreibt, dass wahrer Frieden nicht ohne Vergebung denkbar sei, dass aber diese Herausforderung so groß sei, dass es ein vollständiges Umwandeln des menschlichen Denkens erfordere, um universellen Frieden überhaupt theoretisch möglich zu machen. Drückt das Stück eher Resignation oder eher Hoffnung aus?
Ganz klar Hoffnung! Denn Martin schrieb das Werk während des Krieges in kurzer Zeit, und er beschwerte sich trotzdem, dass die Alliierten ihm »zu viel Zeit zum Komponieren ließen«. Seine Hoffnung war deutlich auf das Ende der Kriegshandlungen und auf Frieden gerichtet.
Wie setzt der Komponist das musikalisch um?
Frank Martin schrieb »In Terra Pax« als Auftragswerk des Schweizer Rundfunks zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Stück wurde am Tag des Kriegsendes europaweit ausgestrahlt. Martin wählte den Text selbst aus.
Er stellt an den Anfang dunkle Bilder aus dem Alten Testament, in denen der Krieg als Zorn Gottes dargestellt wird. Es folgen Psalmen, Verse aus der Offenbarung und aus den Evangelien des Neuen Testaments, die in wunderbarer Musik die Befreiung des Menschen und das Ende des Terrors thematisieren.
Die christliche Prophezeiung, dass Jesus der Erlöser der Welt ist, gewinnt an Bedeutung, die Musik wird heller, und die Hoffnung der Menschen wird zur lebendigen, hörbaren Realität. Eine neue Welt wird entstehen, wenn die Voraussetzungen in der Welt gegeben sind: Vergebung der Schuld und Sieg der Liebe.
Die Vision am Ende des Werkes ist ein Leben voller Hoffnung, voller Licht, Freude und Klang in einer neuen Welt, in der es keine Bedrohung, keine Unterdrückung, kein Leid und keine Tränen geben wird. Ein überschäumender Schluss, in dem alle Ausführenden — das sind drei Chöre, ein großes, symphonisches Orchester und fünf Solist:innen — zusammenfinden, lässt eine gemeinsame Friedenshymne in machtvollem Dur erklingen, ein Zeichen der Hoffnung, der Liebe und einer neuen Wirklichkeit in einer neuen Welt.
Diese Aussage überstrahlt das Werk und wird in der dunkelsten Zeit unserer eigenen Geschichte zum Zeichen für Hoffnung, Menschlichkeit, Liebe und Frieden.
Wie hast du den gigantischen Chor zusammengestellt? Wie viele Sänger:innen sind insgesamt auf der Bühne?
Der riesige Zuspruch unserer Idee im Netzwerk Kölner Chöre und weit darüber hinaus machen es möglich, dass wir insgesamt fünf herausragende Chöre und Chorgruppen zu einem Klangkörper zusammenführen und verschweißen können — ein enormes Potential an begeisterten Chorsänger:innen. »In Terra Pax« verlangt zwei große Chöre, einen weiteren Oberstimmen-Chor, ein großes symphonisches Orchester und fünf Solist:innen. Bei unserer Aufführung in der Kölner Philharmonie wird unser gigantischer Chor sich zusammensetzen aus dem Europäischen Kammerchor Köln, der Kölner Kurrende, aus Mitgliedern aus dem Netzwerk Kölner Chöre, dem Estonian Mixed Youth Choir und der Jugendkantorei St. Marien Osnabrück. Insgesamt werden über 150 Chorsängerinnen und Chorsänger auf der Bühne stehen und ihre Stimmen zu einem gemeinsamen Friedensappell erheben.
Neben Frank Martins großem Oratorium steht eine Uraufführung auf dem Programm. Was für ein Stück ist da entstanden? Was erwartet die Zuhörer:innen?
Das Thema Frieden ist ein Thema, das Komponisten aller Generationen seit über 500 Jahren beschäftigt — denken wir z.B. an Musik von Heinrich Schütz, der den 30-jährigen Krieg vor Augen hatte, als er 1648 seine geistliche Chormusik veröffentlichte und darin die Bitte »Verleih uns Frieden gnädiglich« formulierte. In unserem Konzert erklingen drei Chor- und Orchesterwerke, die das Thema Frieden aus mehreren Perspektiven beleuchten. In der Choralkantate »Verleih uns Frieden gnädiglich« vertont Mendelssohn den Luther-Text in einer wundervoll eindringlichen, an Farben und Ausdrucksqualitäten reichen Musiksprache.
Das Werk des estnischen Komponisten Riho Maimets ist für unser Konzert geschrieben worden. Es ist also »total« neue Musik, die erst Anfang August 2024 fertiggestellt wurde. Eine Musik, die die Bitte »Da Pacem Domine« (»Gib Frieden in unseren Tagen, Herr«) ganz neu erklingen lässt. Sie spiegelt die Sicht eines baltischen Komponisten und damit eines Künstlers, der als Bürger eines Nachbarstaats zu Russland unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen ist. Da ist viel Machtvolles gleich zu Anfang der Kantate zu hören, was aber grotesk und unmenschlich klingt. Die Wirrungen unserer Zeit haben in der Musik von Riho Esko Maimets ihre Spuren hinterlassen. Trotzdem gibt es am Ende des Werks Zeichen der Menschlichkeit und des unbeirrbaren Wunsches nach Versöhnung. Nur noch die Stimmen des Chores erklingen und bitten in einer Art Litanei um Frieden.
Das Gespräch führte Christina von Richthofen für das Netzwerk Kölner Chöre.Foto Michael Reif: Katharina Zeisch
Probenfoto: Katja Röttgen
Probenbericht 9. September: »eine Stimmung entsteht, und die Innigkeit eines Gebetes wird bereits deutlich«
Vor Beginn der finalen Proben- und Konzertwoche probten die Sänger:innen der Kölner Kurrende und der anderen Netzwerk-Chöre am 9. September. Der Europäische Kammerchor veranstaltete, wie in dessen Probenarbeit üblich, ein Probenwochenende.
Montags wurde mit Unterstützung durch Assistenz und Korrepetition teils nach Registern getrennt geprobt, um harmonisch und rhythmisch schwierige Passagen zu durchdringen.
Insbesondere das Werk des estnischen Komponisten Esko Riho Maimets stellt die Sänger:innen rhythmisch vor große Herausforderungen. Zudem stand die finale Fassung des Werkes erst Mitte August zur Verfügung, sodass nun mit besonderer Intensität – Stück für Stück – geprobt werden muss.
Immer und immer wieder werden die gleichen Stellen gesungen, die Wiederholungen bringen zunehmend Sicherheit. Beim Zusammensetzen der einzelnen Passagen und Stimmen entsteht ein erstes komplettes Klangbild, ein erster rhythmischer Ablauf. Manchmal gelingt ein Durchlauf so gut, dass eine Stimmung entsteht und die Innigkeit eines Gebetes bereits deutlich wird.
Auf der Zielgeraden wird es darum gehen, im Detail Dynamik, Klangqualität und Präzision der beiden sehr unterschiedlichen Stücke zu erarbeiten – eigentlich die beste Phase in der Erarbeitung eines Konzertprogrammes.
Text und Foto: Katja RöttgenProbenbericht 29. Juni: Auf der Suche nach einem gemeinsamen Klang und der musikalischen Idee
Während im Hintergrund die umfangreiche Organisation für das Mammutprojekt bewältigt wird, treffen sich zwischen 50 und 60 Sänger und Sängerinnen aus zahlreichen Chören jeden Montag zur gemeinsamen Vorbereitung. Es gilt, einen gemeinsamen Klang zu entwickeln, Noten zu beherrschen, schwierige Passagen zu lernen und zu verinnerlichen.
Am 29. Juni fand der erste gemeinsame Probentag im Ehrenfelder »Zamus« statt. Michael Reif wurde durch zwei Assistent:innen unterstützt: Emanuela Musso gestaltete das Einsingen und begleitete den Vormittag, Christian Brandenburger korrepetierte am Nachmittag.
Die ersten Takte des extra für dieses Konzert komponierten Stückes »Da pacem« des estnischen Komponisten Riho Esko Maimets lagen zum Probentag vor und erklangen zum ersten Mal.
Trotz Hitze und der nicht immer einfachen Probenmaterie: Die Arbeit war erfolgreich, es entsteht mehr und mehr ein gemeinsamer, ausgeglichener, harmonischer Klang und eine musikalische Idee der Stücke, die zur Aufführung kommen werden.
Text und Foto: Katja Röttgen